In einer der letzten Ausgaben von AINS fand sich in der Rubrik „Pssst … AINS Secrets! Heute aus der Notfallmedizin“ ein sehr spannender Artikel:
Kindler A, et al. Zentrales anticholinerges Syndrom. AINS 2016; 51: 604-606
Hier ein paar Fakten zum ZAS:
- Inzidenz: 1-5% nach Lokalanästhesie, 4-10% nach Allgemeinanästhesie, <5% in der Intensivmedizin
- Erstbeschreibung von Longo im Jahr 1966
- Ursache: Blockade von zentralen, muskarin-cholinergen Neuronen oder vermindertes Angebot von Acetylcholin (AcH)
- Imbalance der Transmittersysteme mit relativen AcH-Mangel
Auslöser:
- direkt anticholinerg wirkende Substanzen: z.B. Atropin oder Scopolamin
- aber auch andere zentralwirkende Substanzen können auslösend wirken:
- Antidepressiva, Alkohol, Antihistaminika, Antiparkinsonmittel, Barbiturate, Benzodiazepine, H2-Rezeptor-Blocker, Inhalationsanästhetika, Ketamin, Lokalanästhetika, Mydriatika, Neuroleptika, Opioide, Propofol, Spasmolytika
- viele in der Anästhesie genutzte Substanzen können ein ZAS auslösen
Klinische Präsentation:
- von agitiert bis komatös-somnolent, Kombination aus 1 zentralen und 2 peripheren Symptomen:
- zentrale Symptome:
- Agitiertheit mit Desorientierung, Hyperaktivität, Erregbarkeit, Halluzinationen, Krämpfen, Schwindel/Ataxie
- Somolenz/Koma mit Amnesie/Kurzzeitgedächtnisstörungen
- periphere Symptome: trockene/rote Haut, Mydriasis, Tachykardie, Herzrhythmusstörungen, Harnverhalt, Hyperthermie, verminderte Speichelsekretion, verminderte Schweißsekretion
- cave: rezidivierende Atemstillstände mit Bewusstseinsstörungen
Merksatz des Zentralen anticholinergen Syndrom:
„Heiss wie ein Hase, blind wie eine Fledermaus, trocken wie ein Knochen, rot wie eine Rübe, total verrückt“ (Spöri R, et al. Notfall Rettungsmed 2000; 3: 115-119
Differentialdiagnosen:
- Wirkung andere Medikamente: Opioide, Relaxantien, Anästhetika: (z.B. Psychosen)
- Hypoxie, Hypo-/Hyperkapnie, Hypo-/Hyperthermie
- Störungen des Wasser-Elektrolythaushalt
- Harnverhalt
- neurologische Komplikationen
- chronische Cortisoneinnahhme
- Entzugssyndrome und andere psychiatrische Krankheitsbilder
Therapie:
- Sicherung der Vitalfunktionen
- Nach Ausschluss anderer Diagnosen: Physostigmin (Anticholium) „ex juvantibis“ (Cholinersterasehemmer hemmt den Abbau von AcH und erhöht die AcH-Konzentration im synaptischen Spalt) kann die Blut-Hirn-Schranke überwinden und daher zentral und peripher wirken, initiale Dosierung 0,04-0,08 mg/kgKG (z.B. bei 70 kgKG initial 2 mg über 2 min), kurze Halbwertzeit 20 min – 2 h, ggf. repetitive Gabe nach 20 min, ggf. Dauerinfusion mittels Perfusor mit 1 mg/h
- Nebenwirkungen: Brady- und Tachykardie, Schwitzen, vermehrter Speichelfluss, Übelkeit und Erbrechen, Magenschmerzen, gesteigerte Peristaltik, Diarrhoe, Miosis, Tränenfluss, Augenschmerzen, Krampfanfälle, Bronchokonstriktion
- Therapie der Nebenwirkungen: Glycopyrulat oder Atropin
- Kontraindikation: Asthma bronchiale, Iritis, Glaukom, Stenosen/Spasmen des Magen-Darm-Traktes, der Gallenwege, oder der Harnwege, Obstruktionsileus, geschlossenes Schädel-Hirntrauma, Vergiftungen mit Phosphorsäureestern oder Barbituraten, myotone Muskeldystrophie
Wie macht man Schmerztherapie bei Patienten, die bereits ein ZAS erlitten haben?
– Nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAR)
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